Geschichte

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Neue Berliner Sternwarte, Lindenstraße Berlin. Architekt: Karl Friedrich Schinkel

Bild: AIP/Archiv

Anfänge

Die Geschichte der Potsdamer Astronomie begann eigentlich in Berlin: Auf Anregung von Gottfried Wilhelm Leibniz gründete Kurfürst Friedrich III. am 11. Juli 1700 dort die Brandenburgische Societät, aus der später die Preußische Akademie der Wissenschaften hervorging. Zuvor war einer noch zu gründenden Sternwarte das Kalendermonopol erteilt und am 18. Mai 1700 Gottfried Kirch zu deren Direktor berufen worden. Die Sternwarte sollte mit den Gebühren für den von ihr berechneten und vertriebenen Grundkalender die Akademie mitfinanzieren, und sie tat dies tatsächlich bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Der Grundkalender wurde noch bis 1991 an der inzwischen nach Babelsberg übersiedelten Sternwarte berechnet.

Im Jahre 1711 entstand in der Berliner Dorotheenstraße ein erstes Sternwartengebäude, dem 1835 ein Neubau durch Karl Friedrich Schinkel in der Lindenstraße (Nähe des Halleschen Tores) folgte. Bedeutenden Anteil an der Konzipierung des neuen Gebäudes und des Instrumentariums hatte Alexander von Humboldt, der bereits 1827/28 mit seinen berühmten "Kosmos"-Vorlesungen für die Astronomie geworben hatte.

Die Entdeckung des Planeten Neptun im Jahre 1846 durch Johann Gottfried Galle und Heinrich Louis d'Arrest machte die Berliner Sternwarte weltweit bekannt. Ebenso bedeutend waren die Entdeckung der Kanalstrahlen durch Eugen Goldstein 1886 im Labor der Sternwarte und der Nachweis der Polhöhenschwankung der Erde durch Karl Friedrich Küstner 1888.

Die beiden letztgenannten wissenschaftlichen Großtaten fallen in die Zeit des Direktorats von Wilhelm Julius Foerster, der zugleich einen entscheidenden Anteil an der Errichtung der Observatorien in Potsdam hatte: an der Gründung des Astrophysikalischen Observatoriums auf dem Telegrafenberg im Jahre 1874 und an der Übersiedlung der Berliner Sternwarte nach Babelsberg, die 1913 vollendet wurde.

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Das Astrophysikalische Observatorium Potsdam (AOP) auf dem Telegrafenberg.

Bild: AIP/Archiv

Die Gründung des Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam

Dank der Mitte des 19. Jahrhunderts von Gustav Kirchhoff und Robert Bunsen entwickelten Spektralanalyse eröffnete sich die einzigartige Möglichkeit, aus dem Licht der Himmelskörper Aussagen über ihre chemische Zusammensetzung und ihren physikalischen Zustand zu gewinnen. Foerster erkannte dies als einer der ersten und regte 1871 in einer an den Kronprinzen gerichteten Denkschrift, in der er auf die Bedeutung und den praktischen Nutzen der Sonnenforschung einging, zunächst den Bau eines Sonnenobservatoriums an. Der Gedanke wurde jedoch bald auf die gesamte Astrophysik ausgedehnt.

Als Standort wurde eine südlich von Potsdam gelegene Anhöhe gewählt: der Telegrafenberg. Dort hatte von 1832 bis 1848 eine Station einer Linie optischer Telegrafen gestanden, mit der militärische Nachrichten zwischen Berlin und Koblenz übertragen wurden. Am 1. Juli 1874 wurde das Astrophysikalische Observatorium Potsdam (AOP) gegründet. Es nutzte zunächst den Turm des ehemaligen Potsdamer Militärwaisenhauses in der Lindenstraße, von dem aus Gustav Spörer Sonnenbeobachtungen durchführte. Im Herbst 1876 begann der Bau des Hauptgebäudes auf dem Telegrafenberg. Es wurde drei Jahre später vollendet und seine Erstausstattung mit Instrumenten abgeschlossen.

Die Leitung des AOP wurde einem Direktorium übertragen, das aus Wilhelm Julius Foerster, Gustav Kirchhoff und Arthur Auwers bestand. Im Jahre 1882 wurde Hermann Carl Vogel zum alleinigen Direktor des Observatoriums ernannt, das sich unter seiner Leitung stärker der Sternphysik zuwandte. Vogel gelang es als erstem, Radialgeschwindigkeiten von Sternen fotografisch zu messen, und er entdeckte so die spektroskopischen Doppelsterne.

Im Jahre 1899 stellte man auf dem Telegrafenberg den größten bis dahin gebauten Refraktor mit einem 80- und 50-cm-Doppelobjektiv von Steinheil auf einer Repsold-Montierung in einem Kuppelbau von 24 Metern Durchmesser fertig. Die Einweihung fand in Gegenwart des Kaisers statt. Hat auch der Große Refraktor die in ihn gesteckten Erwartungen nicht voll erfüllt, so sind zwei Entdeckungen an diesem Instrument doch erwähnenswert: die des instellaren Mediums durch die ,,ruhenden" Kalzium-Linien im Spektrum des spektroskopischen Doppelsterns delta Orionis 1904 durch Johannes Hartmann und die stellarer Kalziumemissionen – Hinweise auf Oberflächenaktivität! – durch Gustav Eberhard und Hans Ludendorff um 1900.

Ein Jahrzehnt später wurde mit Karl Schwarzschild einer der bedeutendsten Astrophysiker dieses Jahrhunderts zum Direktor berufen. In der kurzen Zeit seines Wirkens – schon 1916 bereitete eine Krankheit seinem Leben ein Ende – hat er grundlegende Beiträge zur Astrophysik und zu der gerade entstehenden Allgemeinen Relativitätstheorie geleistet. So fand er beispielsweise wenige Wochen nach der Veröffentlichung der berühmten Einsteinschen Gleichungen eine erste Lösung, die heute als Schwarzschild-Lösung bezeichnet wird und insbesondere in der Theorie der Schwarzen Löcher von grundlegender Bedeutung ist.

Das AOP ist mit der Entwicklung der Relativitätstheorie in vieler Hinsicht verbunden. So führte Albert A. Michelson 1881 im Keller des Hauptgebäudes zum ersten Male jenen berühmten Interferometerversuch zum Nachweis der Bewegung der Erde gegenüber dem Lichtäther durch, dessen "Misserfolg" eine der Grundlagen für die 1905 von Einstein aufgestellte Spezielle Relativitätstheorie darstellt.

Um die von der Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagte Rotverschiebung von Spektrallinien im Schwerefeld der Sonne nachzuweisen, hatte Erwin Finlay Freundlich ein Turmteleskop konzipiert. Es fand seine Verwirklichung in Gestalt des Einsteinturms, mit dem der Architekt Erich Mendelsohn ein einzigartiges expressionistisches Wissenschaftsbauwerk schuf. Zwar konnte die Gravitationsrotverschiebung zunächst nicht gefunden werden, jedoch nahmen andere wichtige Entwicklungen der Sonnen- und Plasmaphysik hier ihren Anfang.

Neben den bisher genannten Leistungen waren es vor allem die großen Beobachtungsprogramme wie die "Potsdamer Photometrische Durchmusterung" und die herausragenden Arbeiten Walter Grotrians zur Sonnenkorona, die dem Astrophysikalischen Observatorium Weltgeltung verschafften.

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Hauptgebäude der Berliner Sternwarte in Babelsberg.

Bild: AIP/Archiv

Die Übersiedlung der Berliner Sternwarte nach Babelsberg

Das schnelle Wachstum Berlins Ende des 19. Jahrhunderts hatte dazu geführt, dass die ursprünglich außerhalb der Stadt errichtete Berliner Sternwarte umbaut und eine den Ansprüchen der Forschung genügende Beobachtungstätigkeit damit nahezu unmöglich geworden war. Schon Mitte der neunziger Jahre war daher u.a. von Foerster der Neubau einer Sternwarte außerhalb Berlins vorgeschlagen worden. Mit der Berufung Karl Hermann Struves als Nachfolger Foersters zum Direktor im Jahre 1904 nahm dieses Projekt konkrete Formen an.

Nach Probebeobachtungen durch Paul Guthnick im Sommer 1906 fiel schließlich die Entscheidung zugunsten des Standorts auf dem Babelsberg. Das Gelände, das ursprünglich zum Schloßpark Babelsberg gehörte, wurde kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Kosten für den Bau der Gebäude (1.1 Millionen Goldmark) und für die instrumentelle Ausrüstung (450,000 Goldmark) konnten durch den Verkauf des Grundstücks der alten Schinkelschen Sternwarte in Berlin, die später abgerissen wurde, gedeckt werden. Unter der Leitung von Baurat Eggert wurde im Juni 1911 mit dem Bau begonnen, und bereits Anfang August 1913 konnte die Übersiedlung abgeschlossen werden.

Die ersten neuen Instrumente kamen im Frühjahr 1914 hinzu. 1915 wurde die Aufstellung des 65-cm-Refraktors – das erste astronomische Großinstrument der Firma Carl Zeiss Jena – vollendet. Die Fertigstellung des 122-cm-Spiegelteleskops zog sich infolge des Weltkriegs noch bis 1924 hin. Struve starb 1920 und konnte die Vollendung seines Lebenswerks nicht mehr erleben. Sein Nachfolger wurde Paul Guthnick, der 1913 mit der lichtelektrischen Fotometrie die erste objektive Methode zur Helligkeitsbestimmung von Sternen in die Astronomie eingeführt hatte. Mit der Fertigstellung des 122-cm-Spiegelteleskops – seinerzeit das zweitgrößte Fernrohr der Welt – war die Babelsberger Sternwarte das bestausgerüstete Observatorium Europas.

Die Weiterentwicklung der lichtelektrischen Fotometrie, insbesondere im Zusammenhang mit der Untersuchung des Lichtwechsels schwach veränderlicher Sterne, sowie spektroskopische Arbeiten am 122-cm-Spiegel machten die Babelsberger Sternwarte weltweit bekannt.

Anfang 1931 war die von Cuno Hoffmeister in Sonneberg gegründete Sternwarte als Außenstelle an die Sternwarte Babelsberg angegliedert worden. Die bis heute durchgeführte fotografische Himmelsüberwachung im Rahmen des Sonneberger Felderplans ließ in über 60 Jahren die zweitgrößte astronomische Plattensammlung der Welt entstehen. Dieses Archiv und die damit in Zusammenhang stehende Erforschung veränderlicher Sterne machten Sonneberg zu einem Begriff in der Astronomie.

Die Machtergreifung durch den Faschismus, insbesondere die Vertreibung jüdischer Mitarbeiter, führten zu einem Niedergang der Astronomie in Potsdam und Babelsberg. Der Ausbruch des 2. Weltkriegs setzte dann der astronomischen Forschung faktisch ein Ende.

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Schwarzschildhaus und Bibliothek auf dem Forschungscampus des AIP in Babelsberg.

Bild: AIP

Die Entwicklung nach dem 2. Weltkrieg

Der Wiederbeginn nach dem Kriege war sehr schwierig. Der Einstein-Turm hatte beim Luftangriff am 14. April 1945 schwere Schäden erlitten, und in Babelsberg waren wertvolle Beobachtungsinstrumente, darunter das 122-cm-Spiegelteleskop, demontiert worden und als Reparationsleistung in die Sowjetunion gegangen.

Anfang 1947 übernahm die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin das Astrophysikalische Observatorium Potsdam und die Sternwarten Babelsberg und Sonneberg.

Im Juni 1954 nahm das Observatorium für Solare Radioastronomie in Tremsdorf (17 km südöstlich von Potsdam) als Außenstelle des AOP seine Tätigkeit auf. Es kann auf eine interessante Vorgeschichte verweisen: Nachdem Heinrich Hertz 1888 die Radiowellen entdeckt hatte, versuchten 1896 Johannes Wilsing und Julius Scheiner am AOP Radiostrahlung der Sonne nachzuweisen, was damals jedoch an der mangelnden Empfindlichkeit der Apparatur scheiterte. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begann Herbert Daene auf dem Gelände der Babelsberger Sternwarte mit Radiobeobachtungen der Sonne, die schließlich in Tremsdorf weitergeführt wurden. Im Oktober 1960 wurde das von Carl Zeiss Jena erbaute 2-m-Universal-Spiegelteleskop im Tautenburger Forst bei Jena eingeweiht und damit das Karl-Schwarzschild-Observatorium gegründet. Dieses Teleskop ist in seiner Schmidt-Variante noch immer die größte astronomische Weitwinkelkamera der Welt und war das wichtigste Beobachtungsinstrument der DDR-Astronomie.

Im Jahre 1969 entstand im Rahmen der Akademie der Wissenschaften der DDR das Zentralinstitut für Astrophysik. Es umfasste neben dem Astrophysikalischen Observatorium Potsdam und der Sternwarte Babelsberg auch die Sternwarte Sonneberg und das Karl-Schwarzschild-Observatorium Tautenburg. Das Sonnenobservatorium Einsteinturm und das Observatorium für Solare Radioastronomie, die zunächst ausgeschlossen waren, kamen später ebenfalls hinzu.

Ein Teil der wissenschaftlichen Aktivitäten betraf kosmische Magnetfelder und Dynamos, verschiedene Turbulenzphänomene, magnetische und eruptive Erscheinungen auf der Sonne, explosive Energieumsetzungen in Plasmen, veränderliche Sterne und Sternaktivität. Ein anderer Teil richtete sich auf die Frühphase der kosmischen Entwicklung und die Strukturbildung im Universum, auf großräumige Strukturen bis hin zu Superhaufen und auf aktive Galaxien; in diesem Zusammenhang wurden insbesondere Methoden der digitalen Bildverarbeitung entwickelt. Darüber hinaus wurden Untersuchungen zur Astrometrie mit dem Schmidt-Teleskop ausgeführt.

Die Arbeit im Zentralinstitut für Astrophysik litt in starkem Maße unter der Abgrenzung der DDR gegenüber der westlichen Welt. Kontakte zu den dortigen Kolleginnen und Kollegen waren außerordentlich schwierig. Als im Herbst 1989 die Mauer fiel, eröffneten sich völlig neue Perspektiven.

Auf Grund der Festlegungen des Einigungsvertrags über die Akademie der Wissenschaften der DDR wurde das Zentralinstitut für Astrophysik am 31. Dezember 1991 aufgelöst. Dank der Empfehlungen des Wissenschaftsrates wurde unmittelbar danach, am 1. Januar 1992, auf der Basis der Potsdamer Institutsteile das Astrophysikalische Institut Potsdam gegründet und in die gemeinsame Bund-Länder-Förderung (die heutige Leibniz-Gemeinschaft) aufgenommen. 2011 wurde das AIP als Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft in Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) umbenannt. Heute sind etwa 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dem Forschungscampus Babelsberg tätig.

Letzte Aktualisierung: 14. August 2023