100 Jahre Einsteinturm - Ein Sonnenobservatorium verbindet Kunst und Wissenschaft

Fotokombination 100 Jahre Einsteinturm

Der Einsteinturm im Verlauf der Zeit. Nur durch ständige, aufwändige Sanierungsarbeiten und dank großzügiger Spenden kann der Einsteinturm erhalten werden.

Bild: Bildarchiv Foto Marburg, AIP Archiv, Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum (Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek), Wolfgang Reuss, Jannis Wiebusch, Thomas Wolf / Wüstenrot Stiftung

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Planung und Bau des Einsteinturms

Der Einsteinturm ist das erste bedeutende Bauwerk des Architekten Erich Mendelsohn. Er entstand in den Jahren 1919 bis 1924 in Zusammenarbeit mit dem Physiker Albert Einstein und dem Astronomen Erwin Finlay Freundlich. Der Turm ist ein Zweckbau, der eine der sehr seltenen Verknüpfungen zwischen Wissenschaft und Kunst darstellt. Mendelsohn gelang es, sowohl die Anforderungen der Wissenschaft als auch seine eigenen Vorstellungen zur Formgebung zu erfüllen.

Am 6. Dezember 1924 wurde der Einsteinturm offiziell im Rahmen einer Kuratoriumssitzung der Einstein-Stiftung eröffnet. Das Sonnenobservatorium war bis zum Zweiten Weltkrieg das wissenschaftlich bedeutendste Sonnenteleskop in Europa.

Zerstörung im Zweiten Weltkrieg

Im Jahr 1942 wurde der Turm mit einem dunkelgrün und bräunlich melierten Tarnanstrich überzogen, um bei Luftangriffen kein Ziel darzustellen. Am 14. April 1945 explodierte eine Luftmine in unmittelbarer Nähe. Es brach ein Feuer im Einsteinturm aus, das durch einen Mitarbeiter vom Astrophysikalischen Observatorium Potsdam (einer Vorgänger-Institution des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam) gelöscht wurde, der in Bombennächten im Arbeitsraum im Turm übernachtete. Auch die Druckwelle der Bombe beschädigte den Einsteinturm. Die Kuppel wurde zu zwei Dritteln zerstört. Die Fensterflügel waren herausgerissen. Es gab Splitterlöcher in der Terrasse und auf der Nordseite des Turms. Die elektrischen Leitungen waren beschädigt. Allerdings hielt die Statik des Turms der Druckwelle stand, was die Untersuchung des Turms 1995 vor der ersten großen Instandsetzung bestätigte.

Nach Kriegsende wurde die Kuppel behelfsmäßig erneuert, sodass Anfang Oktober 1945 die Arbeit wieder aufgenommen wurde. Anlässlich des 250-jährigen Jubiläums der Deutschen Akademie der Wissenschaften im Jahr 1950 wurde der Bau grundlegend instand gesetzt.

Sanierung des Einsteinturms

Durch seine Mischbauweise aus Ziegelmauerwerk und Stahlbeton ist der Einsteinturm anfällig für Risse, durch die Feuchtigkeit eindringen kann. Dadurch waren etwa alle 10-15 Jahre Sanierungsarbeiten notwendig. Die Wüstenrot Stiftung ermöglichte in den 1990er-Jahren nicht nur eine grundlegende Instandsetzung des Einsteinturms, sondern finanzierte auch die erste umfassende bauphysikalische und historische Untersuchung des Gebäudes seit seiner Entstehung. Zwischen 2021 und 2023 wurde eine erneute Sanierung des Einsteinturms fällig, die auch dieses Mal die Wüstenrot Stiftung leitete und finanzierte.

Highlights aus der Geschichte

In seiner hundertjährigen Geschichte hat der Einsteinturm einige Höhepunkte erlebt, darunter den Besuch der Kosmonauten Sigmund Jähn und Calerie Bykowski 1979, den königlichen Besuch von Prinz Charles im Jahr 2009 und erst kürzlich der nepalesische Staatspräsident. Das Gebäude diente als Kulisse für verschiedene Festakte und kulturelle Veranstaltungen, z.B. die Inszenierung "DAS NETZ", und ist auch heute noch ein weltweit bekannter Publikumsmagnet.

Wissenschaft am Einsteinturm als Sonnenobservatorium

Mit der Inbetriebnahme des Einsteinturms 1924 begann in Potsdam und in Deutschland eine neue Ära moderner Sonnenforschung. Der Turm blieb bis zum Zweiten Weltkrieg die größte Sonnenforschungsanlage Europas und gehörte zu den weltweit leistungsstärksten Anlagen dieser Art. Ursprünglich wurde der Einsteinturm errichtet, um mit seiner Hilfe den Nachweis der durch Einsteins Relativitätstheorie vorhergesagten Rotverschiebung von Spektrallinien im Schwerefeld der Sonne zu erbringen. Turbulenzen an der Sonnenoberfläche erzeugen jedoch eine Blauverschiebung in gleicher Größenordnung und überlagern den vorhergesagten Effekt, so dass die Beobachtungen ergebnislos blieben. Die experimentelle Bestätigung des Effekts gelang erst Ende der 50er Jahre.

In der Mitte des Bauwerks steht auf einem eigenen Fundament ein vertikal fest aufgestelltes Teleskop mit einem Linsenobjektiv von 60 cm Durchmesser und 14 m Brennweite. In der Kuppel befindet sich ein Coelostat, dessen zwei Spiegel das Sonnenlicht in das Teleskop zum Linsenobjektiv im Holzturm lenken. Im Kellergeschoss wird das Licht durch einen weiteren schwenkbaren Spiegel horizontal in das Labor geleitet. Dessen Kernstück ist der ebenfalls etwa 14 m lange Spektrographenraum, der sich bis ans Ende des Erdwalls auf der Südseite des Turmes erstreckt. In diesem temperaturstabilisierten Raum wird das Sonnenlicht in seine spektralen Bestandteile zerlegt und analysiert, um so Informationen über Temperatur, Druck, Magnetfeld, Eruptionen und weitere physikalische Prozesse und Zustände auf der Sonne, insbesonderen den äußeren Sonnenschichten, zu gewinnen.

Erwin Finley Freundlich nutzte den Einsteinturm als Ausgangspunkt für mehrere Expeditionen zu Sonnenfinsternissen. Walter Grotrian nahm auf einer mit Freundlich organisierten Reise zur Sonnenfinsternis 1929 nach Sumatra das Spektrum der Sonnenkorona mit einer eigenen Apparatur auf. Seine Auswertungen der Messungen ergaben in den folgenden Jahren, dass die Sonnenkorona über eine Million Grad Celsius heiß ist. Außerdem erstellte Grotrian am Einsteinturm ein Modell der physikalischen Natur der Sonnenflecken. Harald von Klüber, einer der frühen Mitarbeiter Freundlichs, entwickelte eine Möglichkeit, die Stärke und Richtung der Magnetfelder in Sonnenflecken zu untersuchen. Ein weiteres Beispiel für wissenschaftliche Erfolge am Einsteinturm ist die von Horst Künzel 1960 veröffentlichte Arbeit zu Delta-Sonennflecken, die immer noch wichtig für die Vorhersage von Strahlungsausbrüchen auf der Sonne ist.

Zwischen 1943 und Mitte der 1980er-Jahre wurden am Einsteinturm Aufnahmen der Sonne auf Fotoplatten aus Glas gemacht, auf denen insbesondere die dunklen Sonnenflecken zu sehen sind. Die ca. 3000 Glasplatten werden im Einsteinturm aufbewahrt und sind digitalisiert im historischen Plattenarchiv veröffentlicht.

Heute ist der Einsteinturm das Hausinstrument des AIP für Sonnenbeobachtungen. Seine immer noch voll funktionsfähige Ausstattung ermöglicht die Teilnahme an internationalen Messkampagnen und Langzeitmessungen. Insbesondere finden Polarisationsmessungen von Sonnenflecken zur Untersuchung des Magnet- und Geschwindigkeitsfeldes an der Oberfläche der Sonne statt. Außerdem nutzen die Forschenden am AIP den Einsteinturm für die Entwicklung und den Test neuer Experimente und Geräte vor der Installation an Großgeräten wie dem GREGOR-Teleskop auf Teneriffa sowie der Ausbildung von Studierenden.

Im Einsteinturm wurden unter anderem Teile der Instrumente für die Raumsonde Solar Orbiter der Europäischen Weltraumbehörde (ESA) entwickelt, die am 9. Februar 2020 von Cape Canaveral in Florida ins All startete und die Sonne aus nächster Nähe untersucht. An Bord der Raumsonde befindet sich das Röntgenteleskop STIX, das am Einsteinturm mitentwicket, getestet und optimiert wurde. Ein Teil dieses Teleskops ist als Simulation weiterhin im Labor des Einsteinturms aufgebaut, um die Messergebnisse von Solar Orbiter überprüfen zu können.

Der Einsteinturm heute

Nach der Sanierung und der Wiedereröffnung im September 2023 ist der Einsteinturm wieder voll als Sonnenobservatorium im Einsatz. Um den Wissenschaftsbetrieb nicht zu beeinträchtigen, sind Innenbesichtigungen nur im Rahmen von Führungen und zu besonderen Anlässen möglich.

Letzte Aktualisierung: 27. August 2024