Gaia entdeckt großes schlafendes Schwarzes Loch in unserer Galaxie
Bei der Durchsicht der Daten der ESA-Mission Gaia entdeckten Forschende einen „schlafenden“ Riesen. Im Sternbild Adler, weniger als 2000 Lichtjahre von der Erde entfernt, versteckt sich ein Schwarzes Loch mit einer Masse, die fast 33-mal so groß ist wie die der Sonne. Dies ist das erste Mal, dass ein so großes Schwarzes Loch stellaren Ursprungs so nahe an der Erde gefunden wurde. Diese Entdeckung stellt unser Verständnis zur Entstehung und Entwicklung massereicher Sterne in Frage.
Die Materie in einem Schwarzen Loch ist so dicht gepackt, dass nichts seiner gewaltigen Anziehungskraft entkommen kann, nicht einmal Licht. Die große Mehrheit der uns bekannten stellaren Schwarzen Löcher, die aus dem Gravitationskollaps massereicher Sterne entstehen, verschlingt die Materie eines nahen Begleitsterns. Das eingefangene Material fällt mit hoher Geschwindigkeit auf das kollabierte Objekt, wird dabei extrem heiß und setzt Röntgenstrahlung frei. Diese Systeme gehören zu einer Familie von Himmelsobjekten, die als Röntgendoppelsterne bezeichnet werden. Wenn ein Schwarzes Loch keinen Begleiter in der Nähe hat, von dem es Materie einfangen könnte, erzeugt es kein Licht und ist extrem schwer zu entdecken. Diese Schwarzen Löcher werden als „schlafend“ oder „ruhend“ bezeichnet.
Bei der Vorbereitung der Veröffentlichung des nächsten Gaia-Katalogs, Data Release 4 (DR4), überprüfen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Bewegungen von Milliarden von Sternen und führen komplexe Tests durch, um herauszufinden, ob etwas ungewöhnlich ist. Die Bewegungen der Sterne können von Begleitern beeinflusst werden: von leichten Objekten wie Exoplaneten, schwereren Begleitern wie Sternen oder sehr schweren Begleitern wie Schwarzen Löchern. In der Gaia-Kollaboration gibt es spezielle Teams, die all diese „seltsamen“ Fälle untersuchen.
Ein solches Team befasste sich intensiv mit dieser Aufgabe, als seine Aufmerksamkeit auf einen alten Riesenstern im Sternbild Adler in einer Entfernung von 1926 Lichtjahren von der Erde fiel. Bei der detaillierten Analyse der Schwankungen in der Bahn des Sterns stießen sie auf eine große Überraschung: Der Stern umkreist ein ruhendes Schwarzes Loch von außergewöhnlich hoher Masse, etwa 33 Mal so groß wie die der Sonne.
Dies ist das dritte von Gaia gefundene, ruhende Schwarze Loch und trägt dementsprechend die Bezeichnung „Gaia BH3“. Seine Entdeckung ist wegen der großen Masse des Objekts sehr aufregend. „Es ist ein echtes Einhorn“, freut sich Pasquale Panuzzo vom CNRS, Observatoire de Paris, in Frankreich, der Hauptautor dieser Untersuchung. „Das ist die Art von Entdeckung, die man nur einmal in seinem Forscherleben macht. Bislang wurden Schwarze Löcher dieser Größe nur in weit entfernten Galaxien entdeckt, und zwar von der LIGO-Virgo-KAGRA-Kollaboration dank der Beobachtung von Gravitationswellen.“
Die durchschnittliche Masse der bekannten Schwarzen Löcher stellaren Ursprungs in unserer Galaxie beträgt etwa das Zehnfache der Masse unserer Sonne. Bisher wurde der Rekord von einem Schwarzen Loch in einem Röntgendoppelstern im Sternbild Schwan (Cyg X-1) gehalten, dessen Masse auf etwa das 20-fache der Sonne geschätzt wird.
Anhand der Gaia-Daten konnten die Forschenden die Masse des Schwarzen Lochs Gaia BH3 genau bestimmen und es als erstes Schwarzes Loch mit einer präzisen Massenmessung bestätigen. Mit der 30-fachen Masse der Sonne deckt es sich mit den Schätzungen für weit entfernte Schwarze Löcher, die mit Hilfe von Gravitationswellen entdeckt wurden, was die Existenz solch schwerer Schwarzer Löcher bestätigt. Die Entstehung solch massereicher Schwarzer Löcher stellt jedoch eine Herausforderung für das derzeitige Verständnis dar, da die gängigen Theorien zur Entwicklung massereicher Sterne ihre Entstehung nicht erklären können. In der Nähe von Gaia BH3 könnten jedoch Hinweise zur Lösung dieses Rätsels zu finden sein.
Ein ungewöhnlicher Stern umkreist Gaia BH3 in einer Entfernung, die etwa 16-mal so groß ist wie die Entfernung der Sonne zur Erde. Er stammt aus den frühen Stadien der Entstehung der Milchstraße. Der Riesenstern gehört zum galaktischen Halo und bewegt sich in entgegengesetzter Richtung zu den Sternen in der galaktischen Scheibe, was darauf hindeutet, dass er wahrscheinlich aus einer Zwerggalaxie oder einem Kugelsternhaufen stammt, der vor über acht Milliarden Jahren von unserer eigenen Galaxie verschluckt wurde. Die elementare Zusammensetzung des Begleitsterns, der keine schweren Elemente enthält, stützt diese Theorie. Die Zusammensetzung deutet auch darauf hin, dass sich das Doppelsternsystem nach der Geburt von Gaia BH3 gebildet haben könnte, möglicherweise durch Einfangen des Begleitsterns aus einem anderen System.
Die Gaia-Kollaboration stieß auf diesen „schlafenden“ Riesen, als sie zur Vorbereitung der Veröffentlichung des vierten Gaia-Katalogs die Korrektheit der vorläufigen Daten überprüfte. Da die Entdeckung so außergewöhnlich ist, entschied die Gaia-Kollaboration, sie schon vor der offiziellen Datenveröffentlichung bekanntzugeben. Die nächste Veröffentlichung von Gaia-Daten verspricht eine Goldgrube für die Untersuchung von Doppelsternsystemen und die Entdeckung weiterer ruhender Schwarzer Löcher in unserer Galaxie zu werden.
Das Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) ist Teil der Gaia-Kollaboration, die alle Gaia-Daten für die Veröffentlichung vorbereitet, und als solches an dieser spektakulären Entdeckung beteiligt.
Weitere Informationen
Mehr zu Gaia (ESA): https://www.cosmos.esa.int/web/gaia
Pressemitteilung der ESA: https://www.esa.int/Science_Exploration/Space_Science/Gaia/Sleeping_giant_surprises_Gaia_scientists
Originalveröffentlichung: Gaia Collaboration, P. Panuzzo et al. 2023: “Discovery of a dormant 33 solar-mass black hole in pre-release Gaia astrometry”, https://www.aanda.org/10.1051/0004-6361/202449763