Neue 3D-Karte der Milchstraße zeigt zentrale Balkenstruktur

StarHorse Sternenverteilung über einer künstlerischen Darstellung der Milchstraße.

Darstellung der Gaia-Daten kombiniert mit anderen Durchmusterungen und StarHorse-Code über einer Illustration der Milchstraße.

Bild: Data: ESA/Gaia/DPAC, A. Khalatyan (AIP) & StarHorse team; Galaxy map: NASA/JPL-Caltech/R. Hurt (SSC/Caltech)
16. Juli 2019 //

Durch die Kombination der Ergebnisse der zweiten Datenveröffentlichung (DR2) der ESA-Mission Gaia mit ergänzenden Beobachtungen haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter der Leitung des Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) und der Universität Barcelona eine Karte unserer Milchstraße erstellt, die deren zentrale Balkenstruktur zeigt.

Durch die Nutzung zusätzlicher Beobachtungen mit boden- und weltraumbasierten Teleskopen im optischen und Infrarotbereich haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des AIP und der Universität Barcelona kürzlich neue Entfernungen, Sterneigenschaften und die interstellare Lichtabschwächung durch Staub für etwa 150 Millionen Sterne in unserer Galaxie ermittelt. Dieser Ansatz der Nutzung mehrerer Wellenlängenbereiche ermöglicht eine genauere Kartierung der entferntesten Regionen der Milchstraße, erweitert ihre dreidimensionale Ansicht über frühere Arbeiten hinaus und bildet erstmals den zentralen galaktischen Balken deutlich ab.

„Wir haben uns insbesondere zwei der in den Gaia-Daten enthaltenen Sternparameter angesehen: die Oberflächentemperatur der Sterne und die Lichtabschwächung, die­ im Grunde genommen ein Maß dafür ist, wie viel Staub sich zwischen uns und den Sternen befindet, ihr Licht verdeckt und es röter erscheinen lässt“, sagt Dr. Friedrich Anders von der Universität Barcelona, Hauptautor der neuen Studie. „Diese beiden Parameter sind miteinander verbunden, aber wir können sie unabhängig voneinander bewerten, indem wir zusätzliche Informationen hinzufügen, die wir dadurch erhalten, dass wir mittels Infrarotbeobachtungen durch den Staub hindurchschauen.“

Das Team kombinierte die zweite Gaia-Datenveröffentlichung mit mehreren Infrarot-Durchmusterungen unter Verwendung eines Computercodes namens StarHorse, der von Co-Autorin Anna Queiroz, Doktorandin in der Gruppe „Milchstraße und die lokale Umgebung“ am AIP, mitentwickelt wurde. Der Code vergleicht die Beobachtungen mit Sternmodellen, um die Oberflächentemperatur von Sternen, die Lichtabschwächung und eine verbesserte Schätzung der Entfernung zu den Sternen zu bestimmen. Dr. Arman Khalatyan, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Gruppe „Supercomputing und E-Science“ am AIP und zweiter Autor der Studie, betont, dass „die Berechnung insgesamt 19 Jahre auf einem einzigen Computer gedauert hätte. Mit der wachsenden Datenmenge werden in Zukunft noch größere Anstrengungen erforderlich sein.“ Die Berechnungen wurden in der Clusteranlage des AIP durchgeführt.

Dadurch erreichten die Astronominnen und Astronomen eine wesentlich bessere Bestimmung der Entfernungen zu etwa 150 Millionen Sternen – in einigen Fällen beträgt die Verbesserung bis zu 20% oder mehr. Dies ermöglichte es ihnen, die Verteilung der Sterne über die Milchstraße auf viel größere Entfernungen zu verfolgen, als dies nur mit den ursprünglichen Gaia-Daten möglich war. „Mit der zweiten Gaia-Datenveröffentlichung können wir einen Radius um die Sonne von etwa 6500 Lichtjahren sondieren, aber mit unserem neuen Katalog können wir diese ‚Gaia-Kugel‘ um das Dreifache oder Vierfache erweitern, bis ins Zentrum der Milchstraße“, erklärt Co-Autorin Dr. Cristina Chiappini, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Gruppe „Milchstraße und die lokale Umgebung“ am AIP.

Dort, im Zentrum unserer Galaxie, zeigen die Daten deutlich eine große, längliche Struktur in der dreidimensionalen Verteilung der Sterne: den galaktischen Balken. „Wir wissen, dass die Milchstraße einen Balken hat, so wie andere Balkenspiralgalaxien, aber bisher hatten wir nur indirekte Hinweise aus den Bewegungen von Sternen und Gas oder aus der Sternenzählung in Infrarotdurchmusterungen. Dies ist das erste Mal, dass wir den galaktischen Balken im 3D-Raum sehen, basierend auf geometrischen Messungen von Sternabständen“, erläutert Anders.

„Wir interessieren uns letztendlich für Galaktische Archäologie: Wir wollen rekonstruieren, wie sich die Milchstraße entwickelt hat, und dazu müssen wir die Geschichte jedes einzelnen ihrer Bestandteile verstehen“, ergänzt Chiappini. „Es ist immer noch unklar, wie sich der Balken gebildet hat – eine große Menge an Sternen und Gas, die sich starr um das Zentrum der Galaxie dreht – aber mit Gaia und anderen bevorstehenden Durchmusterungen der nächsten Jahre sind wir sicherlich auf dem richtigen Weg, dies herauszufinden.“

Nächste Gaia-Datenveröffentlichungen & spektroskopische Durchmusterungen

Mit Blick auf die Zukunft freut sich Queiroz, dass “wir mit der nächsten Gaia-Datenveröffentlichung, die auch niedrigauflösende Spektren für Milliarden von Sternen beinhalten wird, noch bessere galaktische Karten produzieren können, die möglicherweise bis zur anderen Seite der galaktischen Scheibe reichen.” Die dritte Gaia-Datenveröffentlichung, die derzeit für 2021 geplant ist, wird stark verbesserte Entfernungsbestimmungen für eine viel größere Anzahl von Sternen beinhalten und soll Fortschritte beim Verständnis der komplexen Region im Zentrum der Milchstraße ermöglichen.

Chiappini ergänzt: “Spektroskopische Folgeuntersuchungen mit speziellen erdgebundenen Teleskopen werden ergänzende Informationen liefern, insbesondere detaillierte Fingerabdrücke der chemischen Zusammensetzung für viele Millionen Sterne. In Kombination mit Gaia werden diese Untersuchungen, darunter das 4-Meter spektroskopische Multi-Objekt-Teleskop (4MOST) an der europäischen Südsternwarte und die WEAVE-Durchmusterung am William-Herschel-Teleskop in La Palma es uns ermöglichen, die Entstehungsgeschichte der Milchstraße viel detaillierter darzustellen.”

Weitere Informationen

Veröffentlichung

F. Anders, A. Khalatyan, C. Chiappini, A. Queiroz, et al. (2019), Astronomy and Astrophysics, “Photo-astrometric distances, extinctions, and astrophysical parameters for Gaia DR2 stars brighter than G = 18”

https://doi.org/10.1051/0004-6361/201935765

Pressemitteilung ESA

http://www.esa.int/Our_Activities/Space_Science/Gaia/Gaia_starts_mapping_our_galaxy_s_bar

Datenzugang

https://gaia.aip.de/ (doi:10.17876/gaia/dr.2/51)

Das Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) widmet sich astrophysikalischen Fragen, die von der Untersuchung unserer Sonne bis zur Entwicklung des Kosmos reichen. Forschungsschwerpunkte sind dabei kosmische Magnetfelder und extragalaktische Astrophysik sowie die Entwicklung von Forschungstechnologien in den Bereichen Spektroskopie, robotische Teleskope und E-Science. Seinen Forschungsauftrag führt das AIP im Rahmen zahlreicher nationaler, europäischer und internationaler Kooperationen aus. Das Institut ist Nachfolger der 1700 gegründeten Berliner Sternwarte und des 1874 gegründeten Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam, das sich als erstes Institut weltweit ausdrücklich der Astrophysik widmete. Seit 1992 ist das AIP Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft.
Letzte Aktualisierung: 30. März 2021