Observatorium für Solare Radiostronomie (OSRA) Tremsdorf

1954 - 2007
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Observatorium für Solare Radioastronomie Tremsdorf

Bild: AIP

Einführung: Warum sollte man koronale Plasmaprozesse mit Hilfe der Radioastronomie untersuchen?

Die Korona ist die äußere Schicht der Sonnenatmosphäre und die Quelle des Sonnenwindes. Sie stellt ein inhomogenes, heißes, verdünntes und vollständig ionisiertes Plasma dar, dessen räumliche Strukturen durch das Magnetfeld bestimmt werden. Wichtige Effekte stellarer Aktivität können in der Korona beobachtet werden, wie z.B. koronale Massenauswürfe (CMEs), Flares und eruptive Protuberanzen, Schockwellenbildung und nicht zuletzt Teilchenbeschleunigung. Obwohl diese Prozesse von allgemeiner astrophysikalischer Relevanz sind, sind sie bis heute nicht vollständig verstanden.

Die mit der Sonnenaktivität verbundenen Plasmaprozesse finden auf kleinen räumlichen und zeitlichen Skalen statt. Wenn diese Prozesse mit Elektronenbeschleunigung (bis zu einigen MeV) einhergehen, können sie Radiostrahlung aussenden. Folglich können solche "nichtthermischen" Elektronen mit Radiomethoden aufgespürt werden. Solare Radiobeobachtungen unterscheiden sich in mancher Hinsicht von der üblichen Radioastronomie. Die Signale sind nicht extrem schwach, aber variieren stark in Zeit und Raum. Auch der Hintergrund (die Sonnenscheibe und ihre Umgebung) ist räumlich ausgedehnt und zeitlich variabel.

Verschiedene Plasmaprozesse (Teilchenbeschleunigung und -transport, Anregung verschiedener Wellenmoden) manifestieren sich als solare Radioburstmuster in dynamischen Radiospektren. Die Radiospektren können als ein Ausgangspunkt für die theoretische Untersuchung grundlegender Plasmaprozesse in der Korona verwendet werden. Darüber hinaus bieten die Tremsdorf-Spektralbeobachtungen aufgrund der guten spektralen Abdeckung, der hohen Zeitauflösung und der hohen Empfindlichkeit eine hervorragende Referenz für die Zusammenstellung von Datensätzen von ergänzenden boden- und weltraumgestützten Instrumenten.

Frühe Geschichte der Sonnenradiobeobachtungen in Potsdam

In den Jahren 1893 - 1896 versuchten zwei Wissenschaftler am Astrophysikalischen Observatorium Potsdam (noch unter dessen Gründungsdirektor Prof. Vogel), Johannes Wilsing und Julius Scheiner, die erwartete solare Radioemission ohne den Einsatz von Elektronik nachzuweisen. Sie nutzten den so genannten Fritter-Effekt - die Abnahme des ohmschen Widerstands zwischen zwei nicht zu eng beieinander liegenden Drähten durch den Einfall von elektromagnetischer Strahlung.

Im Gegensatz zu anderen frühen Versuchen sind diese Experimente gut dokumentiert. Es gibt zwei veröffentlichte Abhandlungen (in den Astronomischen Nachrichten August 1896; und in Wiedemanns Annalen, ebenfalls 1896), die die auf dem Telegrafenberg in Potsdam durchgeführten Experimente sorgfältig beschreiben. Das "... erste richtig veröffentlichte Experiment in der Radioastronomie ..." (W.T. Sullivan III, in Classics in Radio Astronomy, Reidel Dordrecht, 1982, S. 145) ist sogar in der englischen Übersetzung der in Ann. der Physik und Chemie 59, S. 782-792 (1896) veröffentlichten Originalarbeit in W.T. Sullivan III (1982, S. 147-157) zu finden.

Tremsdorf1

40-80 MHz

Bild: AIP
Tremsdorf2

100-170 MHz

Bild: AIP
Tremsdorf3

200-400 MHz

Bild: AIP
Tremsdorf4

400-800 MHz

Bild: AIP

Antennen und Empfänger in Tremsdorf

Radiospektralbeobachtungen wurden in der Nähe des Dorfes Tremsdorf 15 km südöstlich von Potsdam (52.284° N, 13.134° E) durchgeführt. Ein Satz von vier Sweep-Spektrographen (10 Sweeps pro Sekunde) wurde durch ein System von vier verschiedenen Antennen in den Bereichen 40 MHz - 100 MHz, 100 MHz -170 MHz, 200 MHz - 400 MHz und 400 MHz - 800 MHz gespeist. Wir verwendeten ein Paar gekreuzte doppelt-logarithmische Yagis, ein 10,5 m Paraboloid und zwei 7,5 m Paraboloide. Die Parabolantennen waren parallaktisch montiert. Auf diese Weise sahen wir die Sonne bei allen Frequenzen als Stern - es wurde keine Bildauflösung erreicht. Das Signal war ein räumliches Integral über das Radiorauschen der gesamten Sonne. Die stärksten menschengemachten Störungen lagen zwischen 85 MHz und 108 MHz (lokales UHF-Radio), 170 MHz - 200 MHz (lokales UHF-TV) und zwischen 550 MHz und 700 MHz (lokales VHF-TV). Die tägliche Beobachtungszeit war so lange wie möglich in Abhängigkeit von der Jahreszeit (Sommer ca. 4 - 19 UT; Winter ca. 8 - 14 UT).

Für spezielle Beobachtungskampagnen konnten zusätzlich zwei Mehrkanalspektrometer eingesetzt werden: der Dezimeterspektrograph (Mehrkanalspektrograph, 693 MHz - 740 MHz, Zeitauflösung 10 ms, Bandbreite 1 MHz) und das Meterwellen-Mehrkanalpolarimeter (Chirp-Transformations-Spektrograph, 316 MHz - 337 MHz, Bandbreite 135 kHz, 10 ms Zeitauflösung bei Messung von Stokes I, 20 ms Zeitauflösung bei Messung von Stokes I und V). Der Chirp-Spektrograph konnte auch um eine Zentralfrequenz von 236 MHz positioniert werden.

Datenarchiv und Routineanalyse

Der gesamte Beobachtungsprozess war robotergesteuert und konnte fernüberwacht werden. In 10-Minuten-Schritten wurden die aktuellsten Daten online präsentiert. Die Rohdaten wurden auf Magnetband gespeichert und - während der manuellen Ereignislistenverarbeitung - dauerhaft auf CD-ROMs abgelegt, die für eine detaillierte wissenschaftliche Analyse bereitstanden.

Es wurde routinemäßig eine Ereignisliste erstellt, die eine morphologische Klassifikation der Radiobursts umfasste: Radiokontinua (Rauschstürme, Typ IV- und V-Bursts), schnelle (Typ III und RS), langsame (Typ II) Drift-Bursts und spektrale Feinstrukturen (z.B. Pulsationen, Faser-Bursts, Spikes, Typ I-Bursts). Diese Informationen wurden auch in die monatlichen Ereignislisten inkludiert, die im Rahmen der NOAA Solar Geophysical Data veröffentlicht werden. Reduzierte Datensätze im FITS-Format wurden an Datenpools einiger sonnenbezogener Weltraummissionen (z.B. SOHO, SDO, RHESSI, STEREO). übermittelt.

Typ-II-Bursts sind die Radiosignatur von Schockwellen in der Sonnenkorona und dem Sonnenwind. Sie können durch einen solaren Flare, aber auch durch eine ausbrechende Protuberanz oder einen koronalen Massenauswurf angeregt werden. Die Beobachtung von Typ II Bursts ist für den Weltraumwetter-Aspekt der Sonnenphysik von Bedeutung. Deshalb haben wir eine Liste aller Typ-II-Bursts zusammengestellt, die seit September 1993 am AIP beobachtet wurden.

Daten und Ereignislisten sind über das OSRA-Datenarchiv zugänglich.

Beteiligte Abteilungen und Gruppen des AIP:

Sonnenphysik
Letzte Aktualisierung: 9. Februar 2021