Plasmakinetik
In der Korona und im Sonnenwind überschreiten die mittleren freien Weglängen von Elektronen und Ionen charakteristische Längenskalen des Plasmas, besonders bei suprathermischen Energien. Plasmamodelle, die auf einer Flüssigkeitsbeschreibung basieren, wie z.B. die MHD, sind dann nicht anwendbar. Die Verteilungsfunktionen der Teilchen im Geschwindigkeitsraum weichen von einer Maxwellverteilung ab, die für Zustände nahe dem thermodynamischen Gleichgewicht charakteristisch ist. Unter solchen Bedingungen werden kinetische Modelle für eine Beschreibung des Plasmas benötigt. Mit kinetischen Modellen ist es möglich die Wechselwirkung zwischen Teilchen und Plasmawellen auf einer mikroskopischen Skala zu beschreiben, zu untersuchen wie Wellen Verteilungsfunktionen beeinflussen, und die Anwachsraten von Wellen in Plasmainstabilitäten zu berechnen.
Am AIP wurde ein Vlasov-Code entwickelt, der Verteilungsfunktionen als Funktion von Raum, Geschwindigkeit und Zeit berechnet. Er berücksichtigt Coulomb-Stöße zwischen Elektronen und verschiedenen Ionenarten, sowie resonante Welle-Teilchen-Wechselwirkung. Er ist auf Plasmen in der Korona, im Sonnenwind und in planetaren Magnetosphären anwendbar. Seine Verwendung ist nicht auf unser Sonnensystem beschränkt, er kann leicht auf die Umgebungen anderer Sterne und Exoplaneten angewendet werden. Der Code wird laufend fortentwickelt.
Die Abbildung zeigt ein Beispiel einer Anwendung des Vlasov-Codes auf Elektronen in einem koronalen Loop, in den Whistler-/Elektronenzyklotronwellen eindringen. Die Verteilung wird durch die Wellen verformt, Elektronen werden von niedrigen Geschwindigkeiten parallel zu hohen Geschwindigkeiten senkrecht zum Magnetfeld transportiert, so dass suprathermische Elektronen entstehen. Die Verteilung kann durch ein Potenzgesetz oder eine Kappa – Verteilung beschrieben werden, wie sie oft im Sonnenwind beobachtet wird, z.B. durch Solar Orbiter.
Kinetische Modelle können auch zur Untersuchung der Ausbreitung energetischer Elektronen verwendet werden, die in Sonneneruptionen beschleunigt werden, von LOFAR beobachtbare Radiostrahlung aussenden, und die von Raumsonden detektiert werden können, z.B. von EPD auf Solar Orbiter.