Das Jahr 2004 ist bestimmt durch eine Serie von Jubiläen, Geburtstagen und
Ereignissen, die streiflichtartig die Geschichte der Potsdamer Astrophysik
und besonders der Sonnenforschung beleuchten:
Grotrians Schüler Wolfgang Mattig, der als junger Wissenschaftler
Mitarbeiter am Einsteinturm und später langjähriger stellvertreternder
Direktor des Kiepenheuer-Institut für Sonnenphysik in Freiburg war,
schrieb 1993: "Die Sonnenphysik in Deutschland begann mit der Gründung
des Astrophysikalischen Observatoriums in Potsdam 1874.
Der 1924 fertiggestellte Einsteinturm legt
noch heute Zeugnis dafür ab." Ein weiterer Beitrag von W. Mattig (1999)
würdigte Grotrians Leistungen für die Astrophysik.
Der Einsteinturm auf dem Telegrafenberg hat sich neben
den
Schlössern und Gärten des Parkes Sanssouci zu einem der stärksten Magneten für
die
Potsdam-Besucher aus aller Welt entwickelt: Das berühmte Bauwerk Erich
Mendelsohns gilt als bedeutendste architektonische Leistung des deutschen
Expressionismus, und seine Abbildung fehlt in keiner Publikation, die sich
mit der Kunst und Architektur der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts
beschäftigt.
Mendelsohn hat mit der Erfüllung seines Auftrages, einen Zweckbau für
ein wissenschaftliches Instrument zu errichten, zugleich ein Monument der
modernen Wissenschaft geschaffen.
Der Einsteinturm bildet die
Schutzhülle um eine damals, vor 70 Jahren, einzigartige Forschungsanlage
für die Sonnenphysik. Erwin Finlay-Freundlich, Astronom und Mitarbeiter
Albert Einsteins, hatte das Instrumentarium konzipiert und damit das erste
Turmteleskop Europas mit einem der größten Spektrographen seiner Zeit
geschaffen. Am 6. Dezember 1924 wurde die Sonnenforschungsanlage des
Einsteinturmes in einer von Albert Einstein geleiteten Sitzung des
Kuratoriums des "Einstein-Instituts" offiziell in Betrieb genommen.
Die primäre wissenschaftliche Aufgabenstellung bestand im Nachweis der
Gravitationsrotverschiebung, einer winzigen, von Einstein vorhergesagten
Verschiebung von Spektrallinien im Schwerefeld der Sonne, die
als Beweis für die Richtigkeit der Allgemeinen Relativitätstheorie dienen
sollte. Die Initiative Freundlichs und die Unterstützung durch den damals
bereits weltberühmten Einstein sicherten in der ökonomisch schwierigen
Situation (Nachkriegszeit und beginnende Inflation!) die finanzielle Basis
für das anspruchsvolle Vorhaben, und zwar je zur Hälfte aus Mitteln des
preußischen Staates und einer Albert-Einstein-Stiftung der
deutschen Industrie.
In den 20er Jahren war der Einsteinturm das erste Turmteleskop in Europa;
Teleskop und Spektrograph gehörten lange zu den größten derartigen
Instrumenten auf der Welt. Seit Beginn der 40er Jahre wurden hier von
H. von Klüber erstmalig in Europa kosmische Magnetfelder gemessen, und zwar
in Sonnenflecken. Die Messmethode wurde später von W. Grotrian und anderen
Potsdamer Mitarbeitern weiter verbessert. Selbst heute noch ist der
Einsteinturm eines der größten, weiterhin für Messungen genutzten
Sonnenteleskope in Europa; dabei haben wir von den großen modernen
Sonnenteleskopen auf den Kanarischen Inseln abgesehen, an denen die
Potsdamer Sonnenphysiker heute die meisten ihrer Präzisionsmessungen
durchführen.
Das berühmte "Sofabild" der Berliner Physiker-Elite,
darunter fünf Nobelpreisträger im Jahr 1921. Der junge Mann links hinter Albert
Einstein ist Walter Grotrian.
Walter Grotrian wurde im Jahre 1922 im Alter von 32 Jahren nach
Potsdam an das Einstein-Institut berufen. Zu dieser Zeit galt er bereits als
einer der führenden Spektroskopiker seiner Zeit. In seiner 1928 erstmals
erschienenen Monographie "Graphische Darstellung der Spektren von Atomen und
Molekülen mit 1, 2 und 3 Valenzelektronen" führte er die heute
übliche Darstellung der Termschemata für die Energieniveaus von Atomen
ein. Das Buch wurde zum Standardwerk und trägt in neueren Auflagen den
Titel "Grotrian Diagrams".
1929 nahm Grotrian an einer von Freundlich geleiteten
Sonnenfinsternis-Expedition nach Sumatra teil, um mit einer eigenen Apparatur
das damals noch völlig unverstandene Spektrum der Sonnenkorona zu messen.
Im folgenden Jahrzehnt gelang es Grotrian dann in einer
Serie von Arbeiten, durch sorgfältige Analyse der eigenen und anderer
Daten die einzelnen Komponenten des Koronaspektrums zu identifizieren und
physikalisch richtig zu deuten. Alle Erklärungen führten zu dem
eindeutigen Schluß, daß in der Korona Temperaturen von über einer
Million Grad vorherrschen müssen. Grotrian wurde zum Begründer der
Physik der Korona, die heute auch durch Messungen in anderen
Wellenlängenbereichen erforscht werden kann, z.B. durch Beobachtungen
im Radiogebiet, wie sie seit 1964 von der zweiten Potsdamer Sonnenstation
aus vorgenommen werden --- dem Observatorium für solare Radioastronomie
bei Tremsdorf, südlich von Potsdam.
Termschema des Natrium-Atoms;
in Lehrbüchern
werden derartige Diagramme jetzt Weltweit als "Grotrian-Diagramme"
bezeichnet.
Walter Grotrian war seit 1927 Professor für Astrophysik an der Berliner
Humboldt-Universität, 1928 wurde er Mitherausgeber der "Zeitschrift für
Astrophysik" und 1951 Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften
zu Berlin und Direktor des Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam.
Die Stadt Potsdam hat zu Ehren Walter Grotrians eine Straße nach ihm
benannt.
Das Festkolloquium wird von 10-13 Uhr im Haus H auf dem Telegrafenberg stattfinden
und über die Fachkollegen hinaus die interessierte Öffentlichkeit,
insbesondere Physik- und Astronomielehrer, ansprechen. Als Festredner
wird Prof. W. Mattig, einer der letzten noch lebenden Schüler und
Mitarbeiter Walter Grotrians, sprechen. In einem weiteren Beitrag wird
Herr Michael Scholz, der sich intensiv mit historischen Studien zum
Einsteinturm beschäftigt hat, erstmalig historisches Filmmaterial
über die Potsdamer Sonnernfinsternis-Expedition 1929 nach Sumatra
zeigen. Dr. Axel Hofmann wird die Geschichte der Potsdamer Messungen
solarer Magnetfelder von ihren Anfängen vor 6 Jahrzehnten am Einsteinturm
bis zur Beteiligung an den künftigen Grossteleskopen GREGOR und LBT darstellen.
Als festlicher Ausklang sind ein kleiner Empfang der Teilnehmer und natürlich
ein Besuch des Einsteinturms vorgesehen.
Interessenten können sich bei Frau Ludmilla Kurth unter
(0331) 7499-464 melden.
Text: Jürgen Staude
HTML: Sophia Tölken, Potsdam, den 16.7.2004
Literatur:
Mattig, W.: "50 Jahre Kiepenheuer-Institut für Sonnenphysik", Sterne und Weltraum 32 H.12 (1993), 854
Mattig, W.: "Walter Grotrians fundamentale Beiträge zur Physik der Sonnenkorona", Sterne und Weltraum 38 H.6/7 (1999), 557